Autor: Tilmann Trausch, Universität Hamburg
Ein Promotionsvorhaben ist prinzipiell dem Erstellen einer Chronik nicht unähnlich. Es ist ein kompliziertes und langfristiges, zuweilen auch langatmiges Unterfangen. So gehen vermutlich den meisten Doktoranden in frustrierenden Momenten zwei Fragen durch den Kopf:
- Wieso tue ich mir das an?
- Wer liest so was überhaupt?
Während die erste Frage nur situativ beantwortet werden kann und eine Antwort kaum einen Mehrwert bringt, ist die zweite in mehrfacher Hinsicht interessant, spielt sie doch für den Inhalt eine nicht unwesentliche Rolle. Was ist wichtig und was nicht? An wen richte ich mich? Wie mache ich potentiellen Lesern meine Inhalte schmackhaft? Als ich über solche und ähnliche Fragen nachzudenken begann, stellte ich fest, dass ich doch einige Gemeinsamkeiten mit einem persischen Hofchronisten der frühen Neuzeit zu haben scheine. Ob diesen Frage Eins gelegentlich ebenfalls umtrieb, ist nicht mehr zu klären, Frage Zwei aber wohl schon: Wer bitte soll meine Chronik lesen?
Die Forschung geht gemeinhin davon aus, dass Chroniken vor allem dazu dienten, historisches Wissen zu archivieren und im Sinne der Staatsräson zu interpretieren. Lesbarkeit oder gar Spannung spielten demnach wenn überhaupt eine untergeordnete Rolle. Diese Sichtweise hat einiges für sich, mag aber auch daran liegen, dass diese Quellen bisher vor allem als Datenlieferanten genutzt wurden. Die sogenannten „weichen Fakten“ blieben oft außen vor. Schaut man diese aber genauer an, stellt man Überraschendes fest: Neben all den Änderungen in der Darstellung bestimmter historischer Ereignisse gibt es eine Konstante: Die Schilderungen werden lebhafter, das heißt im Kontext des 16. und 17. Jahrhunderts: brutaler. Im Jahre 1504 etwa erklärten sich zwei Gouverneure für unabhängig und wurden dafür hingerichtet, wie in den frühen Chroniken eher dokumentarisch zu lesen ist: „Seinen Körper verbrannten sie…“. Selbe Szene in einer der späten Chroniken: Der Käfig des einen sei mit Schießpulver gefüllt und in die Luft gesprengt worden „…und nach einiger Zeit kam der leere Käfig wieder auf den Boden“. Auch das Schicksal des zweiten wird in den späteren Chroniken recht blumig geschildert: Nachdem er sich den „…süßesten Honig der Herrschaft aus tiefster Seele gewünscht hatte…“ erfüllte man ihm seinen Wunsch, bestrich ihn mit Honig und ließ Wespen und Hornissen über ihn herfallen, bevor er schließlich verbrannt wurde.
Regierten die safawidischen Herrscher des frühen 16. Jahrhunderts noch vorwiegend vom Sattel aus, hatte sich spätestes seit Mitte des 17. Jahrhunderts ein ausgeprägtes höfisches Leben entwickelt. Dort wollten der Herrscher und seine Gäste unterhalten werden. Dazu könnten unter anderem auch Chroniken benutzt worden sein. Wurde so aus diesem Medium, das ursprünglich vor allem der Legitimierung der eigenen Herrschaft diente, eine Art spätsafawidischer Unterhaltungsliteratur? Die safawidischen Hofchroniken öfter unter dem Blickwinkel, wer sowas überhaupt liest, zu betrachten, wird zwar unser Wissen über diese Dynastie nicht revolutionieren, aber um einige Facetten erweitern. Das wiederum könnte dann doch eine Antwort auf die erste Frage sein.
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar
Chroniken wurden, wie wir wissen, häufig aus einem bestimmten missionarischen Denken heraus verfasst, als Rechtfertigung, Lobpreisung, politische Anspruchsbegründung etc. - ich sehe da keine Parallelen zu einer Dissertation. Die erstellt zwar Thesen, die sie zu untermauern versucht, aber hat sie den Anspruch "die Welt zu verändern"? Ich sehe sie als wertvollen Beitrag für die wissenschaftliche Gesamtdisziplin und als Vorarbeit für darauf aufbauende Forschung. Ob sie soundso oft bei Amazon angeklickt oder verkauft wird überlege ich mir während des Schreibens sicher nicht.