Autorin: Anna Grosskopf
„Einsamkeit und Freiheit“ - mit diesem Begriffspaar begründete Wilhelm von Humboldt vor rund zweihundert Jahren ein Wissenschaftsideal, das noch heute den Arbeitsalltag der meisten Doktoranden beschreibt. Die Promotionszeit bietet das Privileg selbstbestimmten Forschens, birgt aber auch die Gefahr, als einsamer ,Schreibtischarbeiter‘ den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren. Mit der Einrichtung eines Graduiertenforums wurde am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg eine informelle Struktur geschaffen, die dieser Gefahr entgegenwirkt. Als Forum zum Gedankenaustausch und zur Vernetzung von Graduierten des Kunstgeschichtlichen Seminars mit auswärtigen Gästen hat sich die von der Michael-und-Susanne-Liebelt-Stiftung geförderte Veranstaltungsreihe im Hamburger Warburg-Haus seit ihrer Gründung im Jahr 2007 bestens etabliert.
Nach vorangegangenen Arbeitstagungen zu Themen wie Kritik, Transfer, Oberflächen in Kunst und Ästhetik oder Angewandt und autonom stand das siebte Hamburger Graduiertenforum am 18. Juni 2010 unter dem Motto Körper einrichten. Die Koordinatorinnen Alice Detjen, Nana Tatalovic und Judith Rauser hatten damit einen Problemhorizont eröffnet, an den viele der Hamburger Doktoranden mit ihren Dissertationsprojekten anschließen konnten und der auch eine interdisziplinäre Öffnung ermöglichte. Schließlich ist der Körper, wie Monika Wagner (Universität Hamburg) in ihrer kurzen Einführung betonte, heute nicht mehr nur das „Schlachtfeld“, als das ihn die Künstlerin Barbara Kruger in den achtziger Jahren definierte, sondern zunehmend auch Konvergenzpunkt verschiedener wissen-schaftlicher Zugangsweisen und Interessenhorizonte. Mit der Metapher „Körper einrichten“ fragten die Koordinatorinnen besonders nach den Möglichkeiten der kulturellen Formung des Körpers, die als Techniken des „Einrichtens, Zurichtens, Bewohnens, Formierens und Justierens“ gerade im Umgang der Moderne mit dem Körper an Bedeutung gewinnen. Dieses Interesse spiegelten auch die beiden Textauszüge von Ernst Kapp (Grundlinien einer Philosophie der Technik, 1877) und Marcel Mauss (Die Techniken des Körpers, 1935), die den Teilnehmern als vorbereitende Lektüre zugänglich gemacht worden waren.
Mit der Kunsthistorikerin Mechthild Fend (University College London) und der Volkskundlerin Sabine Kienitz (Universität Hamburg) konnten zwei Gastreferentinnen gewonnen werden, die das Phänomen des „eingerichteten“ und kulturell codierten Körpers in ihren Publikationen der letzten Jahre aus unter-schiedlicher Perspektive erforscht haben.
In ihrem Vortrag Hautfarbe malen. Physische Differenz als ästhetische Heraus-forderung in Girodets „Portrait de Belley“ und Benoists „Portrait d´une Negresse“ gewährte Mechthild Fend Einblick in ein aktuelles Forschungsprojekt. Am Beispiel zweier um 1800 in Frankreich entstandener Porträts dunkelhäutiger Menschen fragte sie nach der Bedeutung der Hautfarbe für die neoklassizistische Ästhetik. Dabei konnte sie zeigen, dass die Darstellung dunkler Haut, die in der Malerei zunächst vor allem als willkommene Herausforderung an den Koloristen gesehen wurde, durch die medizinische Erforschung der Hautfarbe im Laufe des 18. Jahrhunderts neue Impulse erhielt. Anatomische Abbildungen dieser Zeit offenbaren einen neuen, analytischen Blick auf die Haut, den die Referentin mit zeitgenössischen kunsttheoretischen Überlegungen zur materialen Qualität von Körperoberflächen, zum Beispiel in Johann Joachim Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums, in Verbindung brachte.
Maschinenmenschen. Körperkonstruktionen und Prothesentechnik nach dem Ersten Weltkrieg nahm Sabine Kienitz in ihrem Vortrag in den Blick. Ausgehend von David Katz´ Kritik an der prothetischen Praxis schilderte sie die zeitgenössischen Debatten um den praktischen Nutzen und die symbolische Qualität von Prothesen für Kriegsinvaliden und konnte zeigen, dass die technische Rekonstruktion und Überformung des versehrten Körpers sich wandelnden Körpermodellen und Männlichkeitskonzepten unterworfen war. Zielte die frühe Prothesentechnik noch auf die Wiederherstellung einer ästhetischen Norm, die den Kriegsinvaliden visuell zum Verschwinden brachte, so betonten spätere Ansätze meist die Funktionalität der Prothese. In den zwanziger Jahren entwickelte diese sich zu einer Apparatur, die ein Einklinken des menschlichen Körpers in Maschinen erlaubte und damit seine Anpassung an die industriellen Produktionsabläufe begünstigte.
Eine Reihe von Impulsreferaten, die den Arbeitsbereichen einiger Teilnehmer-innen aus dem Kreis der Hamburger Doktoranden entstammten, zeigten die breit gefächerten Anknüpfungsmöglichkeiten an das Thema „Körper einrichten“ So fragte Nana Tatalovic mit Black is beautiful - Die Haut des Anderen bei den Surrealisten am Beispiel einer Fotografie von Man Ray (Noire et blanche, 1926) nach den Verbindungslinien zwischen künstlerischen und ethnographischen Interessen der 1920er Jahre. Illustrationen aus Hans Suréns ebenso erfolgreichem wie umstrittenem Gymnastikhandbuch (Deutsche Gymnastik, 1922) zeigte Judith Rauser unter der Fragestellung Natürlich oder künstlich? Stählerne Häute der Körperkultur. Alice Detjen untersuchte den Zusammenhang von Habit und Habitus anhand eines Selbstporträts, das der englische Maler Frederic Leighton 1881 für die Sammlung der Florentiner Uffizien schuf. Der Einsatz des Körpers bei F. E. Walther war das Thema von Agata Dziacka, die das vom Künstler eingeforderte „skulpturale Empfinden“ des Körpers mit den Objekten seines 1. Werksatzes konfrontierte. Den Ausgangspunkt für Daniela Schienkes Überlegungen zu Haar als Artefakt bildete eine Arbeit der amerikanischen Künstlerin Lorna Simpson, die Haare als Zeichen der ethnischen und kulturellen Identität in den Blick nimmt. Einen Einblick in die Museumsarbeit bot Henrike Mund, die als Volontärin der Hamburger Kunsthalle beim Graduiertenforum zu Gast war, in ihrer Vorstellung eines aktuell geplanten Ausstellungsprojektes mit dem Arbeitstitel Übermalt, verwischt, ausgelöscht - Die Zerstörung des Porträts im 20. Jahrhundert.
Alle Beiträge ermöglichten die Erprobung gedanklicher und methodischer Ansätze und boten Anlass zu engagierten Diskussionen untereinander, mit den beiden Referentinnen wie auch mit Monika Wagner und Daniel Koep (Hamburger Kunsthalle), die als Diskutanden an der Veranstaltung teilnahmen. Die eher geringe Teilnehmerzahl und die horizontale Struktur des Graduiertenforums bewährten sich dabei ebenso wie der Ansatz, einige der teilnehmenden Doktoranden auch inhaltlich in die Gestaltung des Tages einzubinden. Im Hinblick auf zukünftige Veranstaltungen besteht der Wunsch, zu ausgewählten Themen verstärkt auch Doktoranden anderer Universitäten anzusprechen. Das nächste Graduiertenforum am 19. November 2010 könnte hierfür die Möglichkeit bieten.