Ludwig van Beethoven hat Tagebuch geführt - von 1812 bis 1818. Sein privates Notizbuch entspricht dabei weniger einer Alltagschronik als vielmehr einem Sammelsurium aus Gefühlen, Gedanken und Zukunftplänen, angereichert um Zitate und Aphorismen. Eine Art festgehaltene Selbstgespräche in bewegten Zeiten, die von den Napoleonischen Kriegen und der anschließenden Restauration geprägt waren. Der Literaturwissenschaftler und Autor Prof. Dr. Rüdiger Görner hat sich bereits in den 1990er Jahre mit Beethovens Briefen und Aufzeichnungen befasst. Ein guter Grund, ihn anlässlich des 250. Geburtstags des Bonner Komponisten nach dem Tagebuch zu befragen.
Dr. Radke: Im Jahr 1812 beginnt Ludwig van Beethoven Tagebuch zu schreiben. Was hat ihn dazu veranlasst?
Prof. Görner: Beethoven ist jetzt in seinen Vierzigern. Es verlangt ihn nach Kommunikation mit sich selbst. Trotz oder wegen seines Bekanntheitsgrades als Klaviervirtuose und Komponist ist Beethovens Freundeskreis überschaubar. Gespräche im Kreis von Freunden, wie bei Schubert, verbindet man mit Beethoven nicht. Auf Tuchfühlung mit ihm brachten es nur wenige. Zudem – und das ist ein Hauptfaktor für sein Bedürfnis, mit sich selbst zu kommunizieren – schränkte eine ab 1798 nachweisbare Hörschädigung seine Kommunikationsfähigkeit empfindlich ein; sein Gehörleiden verschlimmerte sich um 1801 dramatisch und verunmöglichte ihm gesprächsweisen Austausch. Dass er sich jedoch erst zehn Jahre nach seinem „Heiligenstädter Testament“, das von seiner existentiellen Krise unverblümt zeugt, Tagebüchern anvertraut, belegt wie entschieden er, von Briefen abgesehen, durch sein kompositorisches Schaffen ‚kommunizierte’.