Der Wahlsieg Donald Trumps zum künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten lässt die internationale politische Lage noch einmal unübersichtlicher erscheinen. Werden sich die Vereinigten Staaten in einen neuen Isolationismus zurückziehen? Was wären die Folgen einer Politik des Rückzugs von der internationalen Bühne? Destabilisierung und Unordnung, orakeln viele politische Beobachter. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München attestierte der Welt lange vor Trumps Wahl bereits eine große Unordnung. Schuld daran, so die These seines aktuellen Buchs, sei vor allem der Westen, der in globalen Krisen der vergangenen 25 Jahre versagt habe. Wie er zu dieser Sicht kommt, dazu haben wir ihm unsere Fragen gestellt.
"Macht großer Staaten produziert oft Unordnung"
L.I.S.A.: Herr Professor Masala, Sie haben als Politikwissenschaftler die aktuelle politische Weltlage einer debattenfreudigen Analyse unterzogen, deren Istzustand sich im Titel Ihres Buchs wiederfindet: „Weltunordnung“. Im Untertitel machen sie den Westen als einen Akteur aus, der mit Blick auf die globalen Krisen seit 1989/90 versagt habe: „Die globalen Krisen und das Versagen des Westens“. Was macht der Westen Ihrer Meinung nach falsch? Wie lautet Ihre zentrale These?
Prof. Masala: Die zentrale These des Buches lautet, dass die Versuche der westlichen Welt, die internationle Politik nach 1990 zu verwestlichen nicht nur gescheitert sind, sondern sich auch kontraproduktiv auf die Attraktivität des liberal-demokratischen Modells ausgewirkt haben. Durch die zahllosen Interventionen (militärisch, politisch oder ökonomisch) seit 1990 ist nicht - wie es die Intention der westlichen Welt gewesen ist -, die Demokratie global durchgesetzt worden, sondern sie haben mit dazu beigetragen, dass große Teile der Welt heute destabilisiert sind und das große Teile der Welt, sich in Opposition zu den zentralen Werten und Normen der westlichen Welt befinden.
L.I.S.A.: Bleiben wir beim Begriff der „Weltunordnung“. Sie gehen in Ihrer Studie a priori davon aus, dass Menschen und andere Lebewesen dazu bestimmt seien, Unordnung in Ordnung zu überführen. Unordnung sei nicht lange ertragbar. Übertragen auf die Staatenwelt bedeutet es, das Schaffen von Ordnung sei Ziel staatlicher Akteure. Die heutige Zeit wird aber als besonders unsicher, unberechenbar, nicht-planbar und unübersichtlich bzw. ungeordnet empfunden. Warum gelingt es den ordnungsschaffenden Akteuren nicht, eben diese herzustellen? Was sind die zentralen Probleme?
Prof. Masala: Es gibt heute unter den zentralen, d.h großen, mächtigen Akteuren der Internationalen Politik noch nicht einmal einen Minimalkonsens über die Spielregeln, nach denen Internationale Politik verlaufen soll. Solch einen Minimalkonsens gab es in der Vergangenheit immer wieder zwischen den Großmächten im internationalen System. Das einzige, was Staaten wie die USA, China und Rußland miteinander verbindet ist, dass keiner dieser drei Staaten ein Interesse an einem umfassenden Nuklearkrieg hat. Dies ist per se schon einmal eine gute Nachricht. Darüber hinaus jedoch gibt es in allen zentralen Fragen Uneinigkeit. Wenn sich die Großmächte im internationalen System jedoch nicht als Manager dieses verstehen und auch dementsprechend handeln, dann gibt es keine Ordnung. Denn anders als in der Natur, stellt sich Ordnung in der internationalen Politik nicht automatisch ein, sondern muss manchmal hergestellt werden.
Zum zweiten muss man auch beachten, dass der Besitz von Machtmitteln heutzutage nicht mehr mit der Fähigkeit gleichzusetzen ist, intendierte Ergebnisse durch den Einsatz dieser Machtmittel zu produzieren. Wir erleben es immer wieder, dass die Macht großer Staaten nicht dazu führt, Ordnung zu schaffen, ja oftmals erst Unordnung produziert.
L.I.S.A.: Was halten Sie der These entgegen, nach der Staaten, insbesondere Großmächte, möglicherweise kein Interesse an dauerhafter Ordnung haben, sondern bewusst Unordnung schaffen, um dann wieder als ordnender Gärtner im Sinne Zygmunt Baumans agieren zu können? Gibt es eine Strategie der kontrollierten Unordnung?
Prof. Masala: Das würde ja eine bewußte Vereinbarung zwischen diesen Staaten voraussetzen. Und wozu sollte eine solche kontrollierte Unordnung dienen? Damit man am Schluß nach dem Retter ruft? Die Rufe nach Ordnung sind doch schon lange da, die Versuche eine solche zu etablieren doch auch. Allein die Tatsache, dass es diese Ordnung bislang nicht gibt und - so die These meines Buches auch noch lange nicht geben wird - reicht noch nicht aus, um dahinter eine Grand Strategy zu vermuten. Mithin: das ist mir zu verschwörungstheoretisch.