Ausstellungen verhaken sich, sind sie gut und geistvoll arrangiert, fest in unserem Gedächtnis. Manchmal bringt eine gute Auswahl einen Gedanken, eine Idee, ein Leben auf den Punkt. Nicht jeder Ausstellung gelingt das, es sind vielleicht sogar die allerwenigsten.
Temporäre Schauen fungieren inzwischen völlig selbstverständlich als mediale Zugpferde und jedes Museum, das etwas auf sich hält, steckt schon längst tief in der Ausstellungsfalle fest: Im Zwang, dauerhaft ein Sonderprogramm bieten und ein gesellschaftliches oder wissenschaftliches Problem auf den Punkt bringen zu müssen! Wer aber braucht all diese Punkte, die mitunter so schnell verblassen, wie sie im atemlosen Betrieb aufleuchteten? Leute vom Fach (KunsthistorikerInnen) stehen oft in einem zwiespältigen Verhältnis zur Blockbuster-Mentalität dieser auf Hochtouren laufenden Ausstellungsmaschinerie. Einerseits verpönen sie die Gier nach dem Kunstevent, wittern Nachlässigkeiten, inhaltliche Verkürzungen sowie selbstreferenzielle Kreistänze, andererseits pilgern sie - verständlicherweise - mit leuchtenden Augen von Großveranstaltung zu Großveranstaltung.
Nicht ganz Großveranstaltung, aber medial fleißig, ja eventmässig umworben, wartet derzeit die Ausstellung "Giacometti. Die Spielfelder." (25.1.-19.5.2012) in der Hamburger Kunsthalle auf und das mag den ein oder anderen kritisch stimmen: Schon wieder der? Wer sich erst an den zarten Corots und spätmittelalterlichen Altarretabeln berauscht, sich dann durch den gewachsenen Organismus der Kunsthalle vom alten Gebäudekomplex unterirdisch in die Galerie der Gegenwart treiben lässt, der stößt dort im ersten Stock auf ein Phänomen: Graue Wände sind mit Kohlezeichnungen behängt. Gut. Dazwischen das eine oder andere Bild in Öl, die Farben in blassem Rosa und Grau gehalten. Ein Interieur hier, eine Körperstudie da. Relativ enge Gänge, ganz so wie das Atelier des Künstlers, das nicht einmal zwanzig Quadratmeter umfasste. Man wird hier mit dem Künstler zusammengepfercht und Photographien bezeugen, wie eng, wie staubig es in dieser kleinen Werkstatt in der rue Hippolyte Maindron im Quartier Montmarte zuging, die Giacometti bis zu seinem Lebensende als Arbeitsplatz diente.
Der Strich der Zeichnungen gerät manchmal zögerlich, ganz so, als gelinge dem Künstler die Fixierung nicht. Was sich in diesen Studien und Ölskizzen anbahnt, wird dann in einer ersten Zusammenführung mit der Plastik in der Dreidimensionaliät noch greifbarer. Diese Bronzen verharren trotz ihrer massiven Materialität im Unsteten, Ungenauen. Ihre ungewöhnliche Präsenz und starre Tektonik entzeitigt sie, macht sie zu späten Phantasien der ägyptisch-griechischen Archaik, oder aber zu Verstätigungen naturreligiöser Artefakte. Deutlich arbeitet der Künstler mal Brüste, mal ein Becken, mal die Knie heraus, während die Körper in der Silhoutette zunehmend zu schmalen Strichen verschlanken. Voller Klarheit sticht ein proportional viel zu kleiner Kopf auf einem stalaktitenförmigen Leib hervor; erst in den Füßen stellt sich das Bild wieder scharf. Die Füße sind bei diesen Frauendarstellungen stets zu einem Block zusammengeschmolzen. Der eigentliche Sockel aber folgt erst noch, schwer gibt er den pappeldünnen Figuren Halt.
Tatsächlich handelt die Ausstellung ganz fundamental über den Sockel, auf dem die Kunst lastet und hastet. Für dieses große Spielfeld, dem der gewitzte Arte-povera-Künstler Piero Manzoni einst selber einen Sockel verpasste (Base del Mondo, 1961), findet Giacometti im Laufe seines Schaffens drei plastische Formeln: Die stehende Frau, den schreitenden Mann sowie den großen Kopf. Alle drei Figurentypen finden in den überlebensgroßen Bronzen einen Höhepunkt, die der Künstler einst für die Chase Manhatten Bank, New York, schuf. Photographien von Henri Cartier Bresson bezeugen, wie der Künstler in Galerien Anordnungen des Dreierensembles wieder und wieder neu arrangierte, ihre Abstände zueinander auslotete, als spiele er nach eigenen Regeln Schach. Der Zufall platzt ins Werk, irgendwann stellt Giacometti die drei zu Bronze erstarrten Formeln irgendwo ab.
Dass der Bilderhauer sich bereits in den frühen, stark von den Surrealisten angeregten Arbeiten auf das Spielen verstand, zeigt dann ein ganzer Raum mit plastischen Ensembles, die weniger an Giacometti, denn an Hans Arp denken lassen. Ein sich anschließender Raum ist schließlich dem Platz gewidmet, auf dem sich flüchtig die spindeldürren Menschen feststehen und gleichwohl verlieren. Hier klingt die Großstadtlyrik der Expressionisten nach, hier platzt die Beklemmung aus den massiven Sockelplatten.
Als basso continuo durchzieht die gesamte Ausstellung schließlich die Lust an der Wiederholung, aus der Giacometti all die Jahre sein künstlerisches Kapital zog. Es mag nur drei Grundtöne gegeben haben, sie werden jedoch in allen nur erdenklichen Weisen kunstvoll variiert und ausgekostet. Von den streichholzschachtelgroßen Stelen bis hin zu den überlebensgroßen Monumentalplastiken erhält der Besucher einen rasanten Überblick über das Schaffen und darf sich an den exzellent hergestellten Bezügen zwischen den Werken genauso ergötzen, wie an den Weitblicken, etwa über die Gleisanlagen des Hauptbahnhofs. Selbst hartnäckige Giacometti-Verkenner werden hier also ihre Freude haben, schreibt aus Erfahrung, der Verfasser.
"Giacometti. Die Spielfelder" Galerie der Gegenwart, bis 19.5., Di-So, 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Siehe auch: "Alberto Giacometti. Begegnungen" Bucerius Kunst Forum, bis 20.5., täglich 11-19 Uhr, Do bis 21 Uhr