Frühlingshaft warm begrüßte das Wetter, die Kirschbäume boten prachtvoll sanft ihre Blüte dar, die Atmosphäre hätte besser kaum sein können – und auch inhaltlich war meine Reise nach Göttingen ein gewinnbringendes Erlebnis. Ich hatte erwartet, dass es für mich als Historikerin nur ein kleiner Schritt über die Grenzen der Disziplin ist bis ich bei der Kunstgeschichte angelangt bin. Und doch haben sich manches Mal überraschende Aspekte offenbart, die bei näherer Betrachtung in den Disziplinen sehr unterschiedlich gewertet werden und gerade deswegen empfand ich die Programmauswahl des 35. Deutschen Kunsthistorikertages „Zu den Dingen...“ ob ihres teils interdisziplinären Blickwinkels so spannend.
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Die „Dinge“, Objekte oder Gegenstände mit ihrer Materialgebundenheit – die erkenntnistheoretische Auseinandersetzung über die Begrifflichkeiten und ihre Implikationen hatte auch ihren Platz in den Diskussionen der Vorträge – also für das jeweilige Fach erkenntnisbringende Dinge, die aus dem Blickwinkel der Wissenschaft angesehen werden und damit zu Objekten werden, waren explizit das Thema der Tagung. Anderes wäre für die Kunstgeschichte merkwürdig, ist doch Kunst meist gegenständlich (solange es bspw. keine Performance-Kunst ist). Diese Dinge – Quellen – sind in der Geschichtswissenschaft zumeist Schriftstücke, egal ob Briefe, Urkunden, Erlebnisberichte, Egodokumente, Verwaltungsakten oder ähnliches (abgesehen von den nicht-schriftgebundenen Kulturen und Zeiten). Immer häufiger findet sich im Repertoir von Historiker*innen jedoch auch die visual history, die methodisch mittlerweile auf recht sicheren Beinen steht. Diese bezieht bildliche Quellen – Gemälde und vor allem Fotografien – in ihre Analyse ein bzw. baut darauf ihre Argumentation auf.
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Ein besonderes Augenmerk will daher ich auf den Vortrag über die Kartierung des Bestandes des Fotografen August Sanders von Carina Dauven und Kristina Engels legen – „Von objektbasierten Analysen zum erweiterten Werkverständnis: Eine Materialeigenschaftsstudie der Fotografien Augsut Sanders“ am Donnerstag, den 28. März in der Sektion „Objekt oder Werk? Für eine Wissensgeschichte der Kunst“, geleitet von Margarete Vöhringer und Michael F. Zimmermann.
Die Idee scheint mir generell die der äußeren und inneren Quellenkritik zu sein, wie sie in der Geschichtswissenschaft für gewöhnlich durchgeführt wird. Auch die Frage nach dem Material dürfte dem einen oder der anderen nicht neu erscheinen, doch die Konsequenz mit der die beiden Forscherinnen die Materialien in ihre Kartierung einbeziehen, ist erstaunlich. Dazu beschrieben sie bspw. alle durch den Fotografen genutzten Fotopapiere inklusive ihrer Materialeigenschaften wie Glanz/Mattheit, Färbung oder Struktur (grob/glatt). All dies ist bei einem Verständnis von Fotografie als Kunstform unbedingt mitzudenken, da auch das Material durch den Fotografen mit einer Intension ausgewählt wurde und die Beschaffenheit des Papiers die Wirkung fundamental mit beeinflusst. So gelingt sowohl eine bessere Interpretation des Kunstwerks, als auch seiner Entstehungszusammenhänge, was auch für viele historische Fragestellungen neue Erkenntnisräume mit sich bringt.
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Mit der Frage um die Begriffe beschäftigten sich auch die Vortragenden der Sektion „Material Agencies“ unter der Leitung von Horst Bredekamp und Wolfgang Schäffner am Samstag, den 30. März. Im Vordergrund stand die Frage, ob Dinge nur Objekte oder selbst Handelnde – also auch Subjekte – sein könnten.
Besonders deutlich wurde dies bei dem Vortrag Karmen Franinovics „Material Activity in Art and Design Practices“ zu Beginn der Sektion. Sie stellte neben ihrer und der Forschung ihres Kollegen Roman Kirschner zu Materialaktivitäten auch die philosophische Richtung Neo-Materialismus vor, deren Benennung mir vollkommen neu war.[1]
Allerdings merkte ich im Verlauf der Sektion deutlich, dass diese Überlegungen Parallelen mit der Actor-Network-Theorie bspw. in der Tradition Bruno Latours und der mir vertrauteren Historischen Netzwerkforschung haben. Hier findet sich die Scheidung in Akteur (Mensch) und Aktant (Gegenstand). Auch hier werden Dinge als Handelnde mitgedacht, als Gegenstände, die eine Wirkung auf ihre Außenwelt haben. Beispielhaft sei hier die Tabakdrehmaschine genannt, die Sandra Schürmann im Studienbuch institutionelle Wirtschafts-und Unternehmensgeschichte[2] untersucht und die durch ihre Beziehung zu den mit ihr arbeitenden Menschen eine unmittelbare Auswirkung auf die Handlungen/ Arbeitsschritte der Menschen hatte. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, den Gegenständen auch eine marktbeeinflussende Wirkung zuzuschreiben – oder sind hier doch erneut Menschen diejenigen, die den Ton angeben?
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Mehr als passend empfinde ich den Gedanken, den Markt in der Kunstgeschichte mitzudenken, dem durch die Sektion „Markt Macht Kultur: Das Kunstwerk im Spannungsfeld von Kultur und Märkten“ von Henry Keazor und Katja Patzel-Mattern am Freitag, 29.03.2019, Rechnung getragen wurde. Noch viel mehr als in der Geschichtswissenschaft geht es in der Kunstwissenschaft um die Maler*innen, ihren Erfolg – nicht nur, aber auch den wirtschaftlichen – , ihren Kund*innenkreis, ihre Galerien und damit implizit um ihren Absatzmarkt.
Sehr deutlich hat der Vortrag Frank Zöllners „Salvator Mundi: Der Triumph des Marktes über die Kunst? Leonardos Serienproduktion und ihre Stellung im Kunstmarkt“ deutlich gezeigt, welchen Einfluss Kunsthistoriker*innen auch heute auf den Kunstmarkt und die Preisgestaltung einiger Kunstwerke haben. Ihre Gutachten, ihre Provenienzforschung bestimmen den Wert – Zur Hilfe kommen hierbei auch Disziplinen wie die Geschichtswissenschaft. Auf Forschungen zu den Künstlern als Personen, ihrem Umfeld, den sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und größeren historischen Strukturen kann hierbei oft aufgebaut werden. Wie weitreichend der Einflussbereich des Marktes in der Kunst ist, hat die breitgefächerte Vortragspalette dieser Sektion gezeigt – von der Befragung eines Plattencovers zu dem Künstler des Artworks der Metalband Celtic Frost als auch zu den Verflechtungen mit der durch das Medium Vinyltonträger/ Platte verbreitete Musik bis hin zur im Bauhausjahr unerlässlichen Thematisierung der Vermarktung von Designobjekten aus dem Bauhaus im Vergleich zu anderen Kunstgewerbeschulen wie beispielsweise jener in Bunzlau, welche zwar früher begonnen hatte, ob ihres Provinzdaseins jedoch nie die Erfolge des Bauhauses erreichen konnte. Der Markt, so scheint mir, wird in der Kunstgeschichte in den meisten Fällen implizit mitgedacht, gerade weil Kunst für den*die Künstler*in immer Lebensgrundlage war oder sein sollte – nimmt man diese Berufsbezeichnung ernst. Den Markt jedoch explizit zu thematisieren ist häufig verpasst worden.
Der Kunsthandel ist bestimmt durch Werte, die sich allein durch die das Kunstwerk umgebenden Bedingungen bzw. durch die Geschichte, die Person des Künstlers und seine Beziehungen/ Netzwerke generieren. Die Kunstgeschichte nimmt in dieser Konstellation die Position der Expertin ein, die die Werte und die hinter den Kunstwerken liegende Geschichte plausibilisiert und ihnen eine für eine breitere gesellschaftliche Masse adaptierbare Bedeutung zuschreibt – sie ist damit der Schlüssel zu der Wertbemessung und damit neben anderen Expert*innen wie Galerist*innen eine der wichtigsten Akteur*innen auf dem Kunstmarkt. In diesem Fall kann die Wissenschaft nichts gegen ihre Indienstnahme durch den Markt tun. Die Frage stellt sich, ob sie das überhaupt vermag? Vielleicht kann hieraus eine neue Stärke gewonnen werden.
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Meinen Dank möchte ich dem Nachwuchsforum des 35. Deutschen Kunsthistorikertages und der Gerda-Henkel-Stiftung für die Förderung meines Aufenthalts in Göttingen aussprechen. Für mich ist die Interdisziplinarität bzw. der Blick über den Horizont der eigenen Disziplin heraus besonders bedeutend und für meine Forschungen gewinnbringend. Deswegen fokussiere ich in meinem Bericht die Schnittpunkte zwischen Geschichte und Kunstgeschichte in besonderem Maße. Für mich war es ein sehr lohnender Aufenthalt. Danke!